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Johann Egestorff
Johann Egestorff
Vom Lohnder Kleinbauernsohn zur ersten Lindener Unternehmerpersönlichkeit
Johann Egestorff (1772-1834), Sohn eines Lohnder Leinefischers, wie er sich mit knapp sechzig Jahren von Burchard Giesewell malen ließ.
Wir können von Johann Egestorff schlecht als dem "größten Sohn der Stadt Seelze" sprechen, weil es die Stadt Seelze erst seit 1977 gibt. Aber Lohnde, wo Egestorff geboren und aufgewachsen ist, ist heute ein Seelzer Stadtteil, und Egestorff ist sicherlich eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, welche das heutige Stadtgebiet hervorgebracht hat.
An einem Sonntag Ende Oktober des Jahres 1772 trug der Lohnder Brinksitzer Jobst Hinrich Egestorff, der seinen und seiner Familie Lebensunterhalt als Leinefischer, Fährmann und Tagelöhner bestritt, den zweiten Sohn, den ihm seine Anne Kathrin geboren hatte, zur Taufe in die wenige Jahre zuvor neu erbaute Seelzer Kirche. Pastor Mensching taufte das Kind auf den Namen Johann Hinrich. Es waren überaus bescheidene kleinbäuerliche Verhältnisse, in die Johann Egestorff hineingeboren wurde; dem Vater gehörten neben der kleinen Hofstelle ein Morgen Ackerland, eine Kuh und ein Stück Gartenland. Aber für ein Calenberger Dorf des 18. Jahrhunderts waren diese Verhältnisse normal. Rund die Hälfte der Hofstellen hatte kaum oder gar kein Ackerland, man wohnte beengt, arbeitete den lieben langen Tag und lebte von der Hand in den Mund.
Bei dem alten Dorfschulmeister Burgtorff lernte der kleine Johann nicht viel mehr, als ordentlich im Kopf zu rechnen und ein bißchen im Katechismus zu lesen. (Wahrscheinlich hat er nicht allzu regelmäßig am Unterricht teilgenommen, weil zuhause jede Hand gebraucht wurde.) Im Schreiben ist er zeitlebens nicht über seine mühsam eingeübte Unterschrift hinausgekommen. Aber auch das war damals auf dem Dorfe nichts Ungewöhnliches; wichtiger war wohl, daß einer ordentlich zupacken konnte, und das konnte Johann Egestorff. Nachdem er noch im Kindesalter bei einem benachbarten Bauern als Dienstjunge zum Lebensunterhalt der Familie beigetragen hatte, wurde er nach der Konfirmation zum Böttchermeister Kniep nach Hannover in die Lehre gegeben.
Eine ordentliche Handwerkerausbildung war für einen Brinksitzersohn aus Lohnde keine Selbstverständlichkeit, und es sollte sich bald zeigen, daß die Investition der Eltern in das Lehrgeld gut angelegt war. Denn Johann Egestorff war offenbar jemand, der vorankommen wollte, der etwas unternehmen wollte und ein Gespür für wirtschaftliche Erfolgschancen hatte: ein Menschentyp, wie ihn in Deutschland erst das 18., deutlicher noch das 19. Jahrhundert in größerer Zahl hervorgebracht hat. Unbewußt wohl strebte er nach dem, was wir heute "Fortschritt" nennen und was uns das Selbstverständlichste von der Welt zu sein scheint. Egestorffs Zeitgenossen war ein ausgeprägtes Streben nach "Fortschritt" eher fremd, zumal auf dem Lande.
Nachdem der Böttchergeselle einige Jahre lang Fässer für den Kalktransport an die Kalkbrennerei Stukenbrock am Lindener Berge geliefert und so den Betrieb dort kennengelernt hatte, nutzte er 1803 eine günstige Gelegenheit, die Kalkbrennerei zu pachten. So wurde aus dem Lohnder Kleinbauernsohn in den nächsten Jahren der Lindener "Kalkjohann". Zu dem Kalkofen und den Steinbrüchen am Lindener Berge kamen bald Kohlegruben im Deister, ein Holzhandel, Ziegeleien und eine Zuckerfabrik.
Trotz anfänglicher geschäftlicher Schwierigkeiten und gelegentlicher Rückschläge entwickelte sich Egestorff mit Fleiß und Geschick zu einem der ersten Unternehmer im Raum Hannover und zum zweitgrößten Grundbesitzer in Linden (nur dem Schloß- und Gutsherren von Alten gehörten noch mehr Ländereien). 1824 konnte er den hannoverschen Hofbaumeister Laves beauftragen, ihm mit dem Bau eines herrlich neben der Windmühle auf dem Lindener Berge gelegenen Gasthauses einen Herzenswunsch zu erfüllen - eine Unternehmung, für die er von den Lindenern besonders geliebt wurde. (Das Berggasthaus mußte 1876 dem heute noch dort stehenden Hochbehälter für die Trinkwasserversorgung weichen.)
Der "Kalkjohann" war ein reicher Mann geworden. Er war stolz auf seine Erfolge und die Anerkennung, die ihm zuteil wurde. Doch konnte er seinen Reichtum wohl nicht recht genießen und traute seinem Erfolg nicht. Glauben wir der Überlieferung, so war es ein vor allem arbeitsames Leben, das am Ostersonntag 1834 ein Ende fand. Der 1802 geborene Sohn Georg trat in die väterlichen Fußstapfen, gründete die Lindener Eisengießerei und Maschinenfabrik (die spätere "Hanomag") und wurde Hannovers erster Großindustrieller.
Lesen Sie hier eine ausführlichere Darstellung des Lebens und Wirkens von Johann Egestorff.